Sagen und Geschichten

Der ewige Kampf ums Wasser hat seine Spuren hinterlassen. Die Einheimischen wissen viele Sagen und Geschichten zu erzählen, die sich ums Wasser ranken. Von listigen Zeitgenossen, wie an der Bisse de Lens (Bisse de la Riouta), bis hin zu Mord und Totschlag, wie z.B. in der Gegend von Ausserberg.

Vinschgerwasser

Nach einem Referat von Dr. Josef Feichtinger, Schlanders, anlässlich einer Tagung im Südtiroler Vinschgau über das Wässerwasser.

Ich weiß nicht wieso, aber ich bin überzeugt: alle Vinschger sind wasserscheu!

Vielleicht stammt dieses Vorurteil von meinem ersten Besuch im rätischen Laatsch: in der stickigen Bauernstube mit schmutzblinden Fenstern roch es nach Fußschweiß, Kuhmist - und Bohnenkaffee. Bohnenkaffee war im Jahr 1948 ein Paradiestrank. Aber Mutter lehnte danklügend ab, die Schmutzkringel am Blechhafen ... und überhaupt, Wasser gab's nur am Brunnen im Schlupf vor dem Stall.

Ich weiß, die Vinschger sind Normalverbraucher, vom Taufwasser bis zum Rasierwasser. Statistisch ist die Zahl der Badewannen im Vinschgau nicht geringer als etwa im Burggrafenamt. Die Großväter nährten sich von Brennsuppe, einem Wasserdrivat, die Enkel von Coca-Cola, ebenfalls einem Wasserderivat. Die Vinschger sind Normalverbraucher.

Trotzdem war und ist ihr Verhältnis zum Wasser widersprüchlich. Sie haben Angst, dass es kommt, und Angst, dass es ausbleibt. Deshalb ist eine Tagung über Wasser nur im Vinschgau möglich.

Das Tal der Vinschger ist eine langgezogene, an einer Stelle geknickte Badewanne mit glatten Steilwänden. Muren vom Sonnenberg haben die berühmten Murkegel gebildet, aus Löchern vom Nördersberg schießen Wildwasser, sogar der friedliche Haidersee, auf dem Landtagskandidaten paddeln, hat an der Stadtmauer von Glurns eine Verwüstungsmarke gesetzt.

Herausfordernd haben unsere Vorfahren ihre Dörfer auf Schutthalden und an Wildbäche gebaut. Herausfordernd setzen moderne Landschaftsplaner Industrieanlagen an Flussufer, damit sie in regelmäßigen Abständen erneuert werden können.

An der Sonnenseite, der Steppenseite, ist Wasser Gold. Um dieses Gold wurde und wird mit Wasserhauen und Paragraphen erbittert gekämpft, in kurzen Friedenszeiten werden Tagungen abgehalten.

Wassernot hat eine Wasserkultur geschaffen, eine uralte, einmalige. Der Segen Gottes wurde Segen für die Kulturlandschaft. Die Gehirne moderner Kulturtechniker wissen allerdings mit dem mittelalterlichen Begriff "Segen" nichts mehr anzufangen. Trinkwasser ist eine Infrastruktur und fließt brüderlich im Rohrgeflecht unter der Asphaltdecke neben dem Abwasser, mit dem es gelegentlich vermischt wird.

Es geht dem Wasser gleich wie den Nahrungsmitteln: erst chemische und maschinelle Behandlung machen ein Naturprodukt, das wirtschaftsgefährdende Stoffe in sich birgt, zum hygienisch sauberen Zivilprodukt, das die Wirtschaft zum Konsum freigibt. Wasser kann nur unbedenklich zum Zähneputzen verwendet werden, wenn es eine Spur nach Chlor schmeckt. Nicht nur im Vinschgau.

In einer düsteren Prognose habe ich gelesen, dass Wassernot der Anlass für Weltkriege im 21. Jahrhundert sein wird. Hungersnöte ist die Menschheit gewohnt, Wassernöte sind bisher unerhört. Die Vinschger haben durch komplizierte Waalordnungen und Wasserverteilungen diese Wassernot besiegt, im Vinschgau ist das Recht auf Wasser als ein Menschenrecht festgeschrieben.

Darauf können die wasserscheuen Vinschger stolz sein.


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